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Quo vadis Saarwirtschaft?

Im Blickpunkt
Von Dr. Heino Klingen

13.11.2020

„Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist.“(Jules Verne)

Die Corona-Rezession hat das Saarland härter getroffen als andere Regionen in Deutschland. Mit einem Minus von 9,5 Prozent im ersten Halbjahr schrumpfte die Wirtschaftsleistung an der Saar fast drei Prozentpunkte stärker als im Bund. Sollte sich diese erste Schätzung auf Jahresbasis bestätigen, dann wäre die Saarwirtschaft noch mit einem blauen Auge davongekommen. Denn es hätte noch schlimmer kommen können, wie ein Blick in die Industrie zeigt. Hier blieben Umsätze, Aufträge, Produktion und Exporte im ersten Halbjahr rund ein Viertel unter ihren Vorjahreswerten. Da zudem das Hotel- und Gaststättengewerbe sogar Umsatzrückgänge von einem Drittel bis zur Hälfte verschmerzen musste und auch viele andere Dienstleister starke Einbrüche hinnehmen mussten, darf man sich schon glücklich schätzen, dass es nicht noch tiefer runterging.

Gut ist auch, dass der Absturz gestoppt ist und die Wirtschaft wieder anzieht. Manche glauben deshalb trotz der gerade grassierenden zweiten Coronawelle an eine schnelle und nachhaltige Erholung mit einem V-förmigen Konjunkturverlauf. Doch das ist eher unwahrscheinlich. Jedenfalls kann so lange, wie die Weltwirtschaft im Bann der chinesisch-amerikanischen Auseinandersetzungen steht, der Brexit nicht zufriedenstellend gelöst ist und das Damoklesschwert Corona weiter über uns schwebt, von einer Rückkehr zur Normalauslastung der Wirtschaft keine Rede sein. Und je länger die Krise dauert, desto größer wird die Gefahr, dass Unternehmen aufgeben müssen, und Wirtschaftskraft für immer verloren geht.

Deshalb richten sich gerade in der Wirtschaft große Hoffnungen auf die rasche Verfügbarkeit eines Impfstoffs. Fachleute schätzen, dass aller Wahrscheinlichkeit nach im Frühjahr damit zu rechnen ist. Was aber nicht heißt, dass dann auch schon genügend Impfdosen zur Verfügung stehen, um bei hinreichender Akzeptanz in der Bevölkerung Herdenimmunität zu erreichen. Bis dahin gilt es, die inzwischen eingeübten Schutzregeln weiter zu beherzigen, um das Infektionsgeschehen unter Kontrolle halten zu können und eine erneute Rezession zu vermeiden.

Lange Durststrecke: 15 Jahre ohne Wachstum


Doch auch ohne Corona ist der Blick in die saarländische Zukunft alles andere als sorgenfrei. Manches spricht dafür, dass die Wachstums- und Wohlstandsschere zwischen dem Saarland und dem Bund auch künftig immer weiter auseinandergeht. Ein Indiz dafür ist das momentane Auftragsniveau. Daran gemessen hat die deutsche Industrie bereits wieder einen Großteil ihres Einbruchs vom Frühjahr aufgeholt. Die Saarindustrie ist davon jedoch noch weit entfernt. Und das dürfte sich so schnell auch nicht ändern. Umfragen unserer IHK und des Verbands der Metall- und Elektroindustrie lassen sogar befürchten, dass die Annäherung an das Vorkrisenniveau mehrere Jahre dauern könnte. Selbst wenn das bis 2023 gelänge, fehlten dem Saarland dann – unter Berücksichtigung des Wirtschaftseinbruchs in der Weltfinanzkrise 2008/09 – faktisch 15 Jahre Wachstum. Das Niveau der Wirtschaftsleistung wird deshalb dauerhaft deutlich niedriger bleiben als normalerweise zu erwarten gewesen wäre. Helfen könnte dagegen nur ein höheres Trendwachstum, was aber angesichts der schrumpfenden Bevölkerung, geringer öffentlicher Investitionen und absehbar wenig Rückenwind vom Export eher unwahrscheinlich ist.

Doch damit nicht genug: Zu dieser Nachfrageschwäche kommen jetzt auch noch mindestens ebenso gravierende Herausforderungen auf der Angebotsseite hinzu. Das gilt vor allem für die beiden größten industriellen Arbeitgeber im Saarland – den Fahrzeugbau und die Stahlindustrie. Beide waren schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie in der Krise und beide versuchen, mit harten Sparprogrammen dagegen anzugehen. Mit der Dekarbonisierung unseres Wirtschafts- und Lebensmodells kommen jetzt noch weitere tiefgreifende Veränderungen auf sie zu. Grund dafür sind die ständig steigenden Anforderungen im Klimaschutz, wie sie ganz aktuell in den verschärften CO2-Reduktionszielen bis 2030 und den nochmals gesenkten Grenzwerten für den zulässigen Treibhausgasausstoß je Autokilometer zum Ausdruck kommen.

Wasserstoff statt Kohlenstoff

Was bedeutet das für die Saarindustrie? Um klimaneutral werden zu können, wird die saarländische Stahlindustrie enorme Summen in die Umrüstung ihrer Anlagen investieren müssen. Dass eine solche Transformation hin zu einer klimaneutralen Stahlerzeugung auf Wasserstoffbasis technisch möglich ist, steht heute nicht mehr in Frage. Sie erfordert allerdings Zeit, eine Menge Geld und sehr viel Strom aus regenerativen Quellen. Ohne diese Voraussetzungen ist eine wasserstoffbasierte Stahlindustrie nicht mehr als ein grüner Traum. Um ihn Wirklichkeit werden zu lassen, brauchen die Unternehmen möglichst rasch eine politische Roadmap und verlässliche Rahmenbedingungen. Die im Sommer von der Bundesregierung verabschiedete „nationale Wasserstoffstrategie“ und das „Handlungskonzept Stahl“ bieten eine gute Basis dafür. Jetzt müssen aber schnell Taten folgen. Und das heißt auch, sich einzugestehen, dass es eine klimaneutrale Stahlindustrie ohne massive Hilfen aus Berlin und Brüssel nicht geben wird. Die Politik muss sich verpflichten, sowohl den Umbau als auch laufende Betriebskosten mitzufinanzieren.

Auch für die Automobilindustrie bietet sich Wasserstoff als klimafreundliche Lösung an. Ob mit oder ohne Brennstoffzelle garantierte er ausreichende Reichweiten bei kurzen Tankzeiten. Zudem ließe sich Wasserstoff zur Gewinnung von synthetischen Kraftstoffen einsetzen. Der Verbrennungsmotor erhielte dadurch eine neue Chance. Als Autoland sollte das Saarland diesen Weg, der ebenfalls in der „nationalen Wasserstoffstrategie“ skizziert ist, nicht ungenutzt lassen. Der Spatenstich zur ersten Wasserstofftankstelle in Gersweiler und das HyExperts Project einschließlich des geplanten Elektrolyseurs zur Wasserstoffgewinnung sind erste wichtige Schritte in diese Richtung. Ist die Infrastruktur erstmal da, wird man sehen, welche Fahrzeuge sich letztlich am Markt durchsetzen – das batterieelektrische, das wasserstoffelektrische Auto oder der Direktverbrenner mit synthetischem Kraftstoff.

Das Auto der Zukunft wird aber nicht nur anders angetrieben werden, es wird auch ganz neuen Ansprüchen an Sicherheit, Komfort und Entertainment genügen müssen. Deshalb kann man es nicht oft genug wiederholen: Hier muss das Saarland seine Kompetenzen in IT und Cybersecurity ausspielen und noch mehr als bisher die im Land vorhandenen Forschungsinstitutionen mit dem Automotivbereich vernetzen. Denn nicht alles, was die Zulieferer heute beherrschen, wird in der künftigen Autowelt bedeutungslos sein. Zudem sollten nach Kräften Spin-offs aus den Hochschulen und Forschungsinstituten gefördert werden. Ein Pfund, mit dem man hier wuchern kann, ist der CISPA Innovation Campus. Er sollte jetzt zügig entwickelt werden. Denn schneller als manche denken, wird sich die automotive Wertschöpfung zugunsten von Software und Elektronik verschieben. Experten schätzen, dass künftig die Hälfte der Wertschöpfung im Auto auf diese Bereiche entfällt. Diese Chance gilt es zu nutzen. Das in den CISPA Innovation Campus investierte Geld ist eine gute Investition in die Zukunft unseres Landes.

Zukunftsbild Saarland 2030 entwickeln


Zweifellos werden die kommenden Jahre durch Turbulenzen, massive Veränderungen und auch Zumutungen geprägt sein. Doch ist das so neu für das Saarland? Haben wir nicht schon mehrmals gezeigt, dass strukturelle Herausforderungen in positive Entwicklungen gelenkt werden können? Mit Stolz sollten wir uns daran erinnern, dass es uns inmitten einer existenziellen Bergbau- und Stahlkrise gelungen ist, einen der innovativsten Automotivstandorte in Europa zu schmieden. Und nicht zu vergessen ist auch, wie wir einen völlig überschuldeten Haushalt defizitfrei gemacht haben. Dahinter stand jeweils ein politischer Wille, der mit Mut und Tatkraft umgesetzt wurde.

Das ist auch heute wieder das Gebot der Stunde: Die Probleme nüchtern analysieren, Lösungen aufzeigen und Verbündete finden, die man für die Umsetzung braucht. Die Strukturwandelinitiative Saar hat in diesem Sinne kürzlich zahlreiche Vorschläge zur Bewältigung des Strukturwandels präsentiert.

Allerdings ist das unter Beteiligung der Wirtschafts- und Arbeitnehmerorganisationen erarbeitete Positionspapier noch zu eng und in Teilen nicht konkret genug. Aus Sicht der Wirtschaft betrifft das vor allem Maßnahmen zur Verbesserung der Standortqualität und zur Senkung der unverhältnismäßig hohen Standortkosten. Dennoch: Auf Basis dieses Papiers sollte jetzt weitergearbeitet und ein ganzheitliches „Zukunftsbild Saarland 2030“ entwickelt werden. Ganz wichtig dabei ist, dass die Kommunen mit ins Boot geholt werden. Denn sie sind es, die mit ihrer Steuerpolitik maßgeblich die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beeinflussen.

Zudem wäre ein solches Zukunftskonzept auch eine gute Gelegenheit, für das angekündigte „Jahrzehnt der Investitionen“ zu werben. Was ist geplant? Mit welchen öffentlichen Investitionen will das Land sich als Wirtschafts- und Lebensstandort im Wettbewerb der Regionen behaupten? Gute Antworten auf diese Fragen sind schon die halbe Miete im Ringen um die Zukunft. Sie stiften Vertrauen und geben den Menschen und den Unternehmen eine Perspektive. Damit wäre in diesen Zeiten, in denen viele fragen, wie es mit dem Saarland weitergeht, schon eine Menge erreicht.