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Ist die Schuldenbremse noch zeitgemäß?

Im Blickpunkt
Von Dr. Heino Klingen

12.06.2019

Deutschland braucht dringend eine Aufwertung der öffentlichen Infrastruktur. Das Geld dafür ist da, aber die Schuldenbremse verbietet den Zugriff darauf. Mit einem bundesstaatlichen Vermögenshaushalt könnte man das Problem lösen.

Vor einem Jahrzehnt wurde die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Das war unter den damaligen Umständen eine richtige Entscheidung. Denn mit über 80 Prozent hatte die Schuldenstandsquote ein Niveau erreicht, das die politische Entscheidungsfreiheit einschränkte und für künftige Generationen zur untragbaren Last zu werden drohte. Die Schuldenbremse fand deshalb in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft breite Zustimmung.

Doch inzwischen haben sich die Verhältnisse in mehrfacher Hinsicht grundlegend verändert. Der Schuldenstand des Bundes wird in diesem Jahr erstmals unter den EU-Grenzwert von 60 Prozent fallen, nachdem er 2010 in Folge der Weltfinanzkrise auf 82 Prozent gestiegen war. Wenn die Entwicklung sich so fortsetzt und die schwarze Null weiterhin den Haushalt diktiert, ist der Bund spätestens binnen einer Generation schuldenfrei.

Ganz anders als damals präsentiert sich heute auch die Zinslandschaft. Die niedrigen und zum Teil negativen Realzinsen auf Staatstitel werden zwar gemeinhin auf die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zurückgeführt. In der EZB-kritischen deutschen Öffentlichkeit heißt es deshalb regelmäßig, die EZB betreibe die Enteignung der deutschen Sparer, befördere Übertreibungen am Immobilien- und Aktienmarkt und vergrößere so die Ungleichheit in der Einkommensverteilung. Doch das ist allenfalls die halbe Wahrheit.

Denn der Verfall der Realzinsen ist – so die Einschätzung namhafter Ökonomen – nicht nur Ausdruck der ungewöhnlichen Geldpolitik, sondern habe vor allem auch strukturelle Ursachen. So gebe es aus demografischen Gründen stetig höhere Ersparnisse, die allein als Realkapital immer schwieriger unterzubringen seien. Dieser Trend bestehe schon seit längerem, er habe sich aber seit der Jahrtausendwende noch verstärkt. Ob das – wie manche meinen – tatsächlich am Aufkommen digitaler Geschäftsmodelle und am sinkenden Investitionsbedarf für physische Kapitalgüter liegt, kann bezweifelt werden. Doch das ändert nichts an dem Befund, dass es weniger die Geldpolitik als das veränderte Verhältnis von Ersparnissen und Investitionen ist, das die Realzinsen auf Talfahrt geschickt hat. Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln hat diese These erst unlängst mit einer statistischen Analyse untermauert und dabei in aller Deutlichkeit herausgestellt, dass es sich hierbei um kein vorübergehendes, sondern um ein dauerhaftes Phänomen handelt.

Vor diesem Hintergrund – rasant fallende Schuldenquote, dauerhaft niedrige Realzinsen – stellt sich die Frage, ob Deutschland an der Schuldenbremse festhalten soll. Für ihre Abschaffung spricht einiges. So ist es trotz Schuldenbremse – anders als gewollt – nicht gelungen, dem ausufernden Sozialstaat Zügel anzulegen. Seit Anfang dieses Jahrhunderts sind die Sozialausgaben um ein Viertel gestiegen und machen gegenwärtig mit fast einer Billion Euro rund 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.

Die Kehrseite dieser Medaille erfahren wir im täglichen Leben – auf holprigen Straßen, in maroden Schulen oder in zuckelnden Digitalnetzen. Dass die Infrastruktur vernachlässigt wurde, hat sicherlich mit falscher Prioritätensetzung zu tun. Aber nicht nur. Es liegt auch daran, dass die Schuldenbremse wichtige Zukunftsinvestitionen verhindert hat. Das darf so nicht weitergehen. Deshalb sollte der Bund rasch mit einer langfristig angelegten Modernisierungsoffensive das Versäumte nachholen und neue Projekte aufsetzen. Dazu bedarf es allerdings einer von den Zwängen der Schuldenbremse befreiten Finanzierungsplanung. Eine solche wäre auch für die Wirtschaft wichtig. Denn nur wenn sie weiß, dass vorgesehene Investitionsprojekte nicht allein über laufende Einnahmen, sondern auch über Kredite finanziert werden können, erhalten die Unternehmen genügend Sicherheit für einen entsprechenden Kapazitätsaufbau. Die Bauwirtschaft müsste dann nicht länger als Sündenbock für unterlassene Investitionen herhalten.

Öffentliche Investitionen spenden über Jahre und Jahrzehnte Nutzen. Das wirft die Frage nach der Finanzierungsgerechtigkeit zwischen den Generationen auf. Im Regime der Schuldenbremse liegt die Finanzierung ausschließlich bei der heutigen Generation, obwohl nicht nur sie, sondern auch alle späteren Generationen von der Infrastruktur profitieren. Das ist mit intergenerationeller Gerechtigkeit nicht zu vereinbaren. Deshalb ist die Schuldenbremse auch unter diesem Aspekt neu zu bewerten, zumal bei Zinsen unterhalb der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts die Schulden sich von selbst finanzieren.

Also weg mit der Schuldenbremse? Das dürfte schwierig werden. Denn dafür bräuchte es in Bundestag und Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit und die ist derzeit nicht in Sicht. Das ist gar nicht mal so schlecht. Denn sie einfach zu streichen, wäre keine gute Lösung. Das schaffte nicht nur Spielräume für zusätzliche Investitionskredite, sondern auch für Kreditaufnahmen aller Art. Binnen weniger Jahre landeten wir dann wieder im alten Schuldenstaat. Zudem gäben wir damit ein schlechtes Beispiel ab für jene Länder in der Währungsunion, die hoch verschuldet sind und nur widerwillig den Konsolidierungsvorgaben aus Brüssel Folge leisten. Besser wäre es deshalb, wenn man – wie vom Institut der Deutschen Wirtschaft vorgeschlagen – einen bundesstaatlichen Vermögenshaushalt einrichtete, der im Rahmen der Maastricht-Kriterien Kredite zur Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur aufnehmen darf.